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Unzufriedene Nutzer:innen aus der Branche wehren sich gegen Qualitätsmaßnahmen des EPA

Seit Jahren debattiert die Patentbranche über das Qualitätsniveau der vom EPA erteilten Patente. Obwohl sich das Amt kontinuierlich um Verbesserungen bemüht, stößt seine neue Patentqualitätscharta auf Widerstand – nach Ansicht der Branche gehen die neuen Maßnahmen des EPA nicht weit genug. Nun muss sich das EPA mit einer neuen Initiative aus den eigenen Reihen auseinandersetzen.

12. Oktober 2022 von Konstanze Richter

Die Patentqualitätscharta des EPA ist am 1. Oktober in Kraft getreten und ersetzt die bisherige Qualitätspolitik, die das EPA 2013 veröffentlicht hatte. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des Strategieplans 2023, den das EPA 2018 auf den Weg gebracht hat, um seine Ziele vor Ablauf des Fünfjahreszeitraums zu erreichen.

Nach Ansicht der Branche gehen diese Vorschläge jedoch nicht weit genug. Während eine Arbeitsgruppe des Ständigen Beratenden Ausschusses (SACEPO) im Rahmen dieser Strategie konkrete Vorschläge erarbeitet hat – darunter die Optimierung von Arbeitsabläufen, die regelmäßige Überwachung von Prozessen, die Weiterbildung von Mitarbeiter:innen und der Austausch mit Interessengruppen -, sind die internen Nutzer:innen weiterhin besorgt über die Qualität der erteilten Patente.

Der Chief IP Counsel von Siemens, Beat Weibel, sagte gegenüber JUVE Patent: „Alle Maßnahmen sind zu sehr auf die Verbesserung der internen Abläufe und deren Effektivität, einschließlich Schnelligkeit und Pünktlichkeit, ausgerichtet. Die tatsächliche Qualität der erteilten Patente wird dadurch nicht unbedingt verbessert.“

Aus diesem Grund hat Weibel eine Initiative der Patentindustrie ins Leben gerufen, um auf das zunehmende Qualitätsproblem im Patentamt zu reagieren. Die Unterzeichner:innen der Patentqualitätscharta der Branche selbst verpflichten sich gemeinsam zu einer Reihe von Qualitätsstandards, die von den Maßnahmen des EPA unabhängig sind.

Weibel sagt: „Sowohl die Nutzer:innen als auch die Öffentlichkeit benötigen Patente von guter Qualität. Und für sie bedeutet dies solide, verlässliche und durchsetzbare Patente, die einen Wert für das Unternehmen schaffen.“

Unternehmensinterner Standpunkt

In der Charta, die von mehreren internen IP-Leiter:innen im Namen von zehn großen Unternehmen unterzeichnet wurde, wird versprochen, sich darauf zu konzentrieren, Patente anzumelden, die für das jeweilige Unternehmen und die Kund:innen von Nutzen sind, und gleichzeitig klar formulierte Patente mit klar definierten Geltungsbereichen zu erstellen. Außerdem soll vermieden werden, dass Quantität vor Qualität geht.

Bislang haben Bayer, Ericsson, HP, Nokia, P&G, Qualcomm, Roche, Siemens, Syngenta und Vodafone die Charta unterzeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass weitere folgen werden.

In den sozialen Medien stößt die Initiative auf große Zustimmung: „Gute Zäune machen gute Nachbarn“, schreibt der IP-Experte Ricardo Cali auf LinkedIn. Damit meint er, dass Schutzrechte am besten funktionieren, wenn ihr Geltungsbereich und Inhalt klar definiert sind.

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Ein wiederkehrendes Thema

Die Debatte ist nicht neu, denn die Qualität von Patenten ist ein heiß umstrittenes Thema. Im Laufe der Jahre haben Fachleute eine Reihe von Beschwerden geäußert.

So wandten sich 2018 die deutschen Kanzleien Grünecker, Hoffmann Eitle, Maiwald, Cohausz & Florack und Vossius & Partner in einem offenen Brief an den damaligen EPA-Präsidenten Benoît Battistelli und seinen designierten Nachfolger António Campinos und äußerten ihre Besorgnis darüber, dass die Anreizsysteme für die Prüfung von Patentanmeldungen und die internen Richtlinien schnelle Verfahren zu belohnen scheinen. Die Unternehmen argumentierten, dies führe zu einer höheren Produktivität auf Kosten der Patentqualität.

Seitdem hat das EPA unaufhörlich seinen Strategieplan 2023, der einen Schwerpunkt auf die Patentqualität legt, vorangetrieben. Dies ist nicht ohne Wirkung geblieben. Nach einer informellen und nicht repräsentativen Einschätzung von JUVE Patent glauben Teile der Patentbranche, dass die Strategie zumindest teilweise erfolgreich ist.

Nathalie Kirchhofer ist Partnerin bei Cohausz & Florack, eine der Unterzeichnerkanzleien des offenen Briefes 2018. Sie sagt: „Wir schätzen die Qualität des EPA generell als hoch ein, insbesondere im Vergleich zu anderen Patentämtern.

Wir begrüßen den Fokus des EPA auf Qualität sehr und halten es für äußerst wichtig für die allgemeine Akzeptanz und das Funktionieren eines intakten Patentsystems, dass nicht nur Effizienz, sondern auch Qualität ein Hauptziel und ein wichtiger Leistungsindikator für das EPA bleibt.“

EPA als weltweiter Standard

Rike Dekker, Partnerin bei Kilburn & Strode, pflichtet Kirchhofer bei: „Wir halten das EPA nach wie vor für eines der besten Patentämter weltweit“, sagt sie. Andere, wie Jane Evenson, Patentanwältin und Partnerin bei CMS Cameron McKenna in London, sagen, dass ihre Erfahrungen mit dem EPA insgesamt positiv waren. Sie sagt: „Ich bin der Meinung, dass in den Bereichen Chemie und Biowissenschaften die Analysen und Stellungnahmen der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen des EPA im Allgemeinen von hoher Qualität sind.“

Cyra Nargolwalla, Partnerin bei der französischen Patentanwaltskanzlei Plasseraud, fügt hinzu: „Das EPA versucht, die Erteilungsquoten effizienter zu gestalten – eine ständige Forderung der Nutzergemeinschaft – ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Die Qualitätskontrollgruppe des EPA hat stets sehr zufriedenstellend reagiert, wann immer wir sie kontaktiert haben“.

Auf die Kritik am EPA antwortet Nargolwalla: „In einem Amt mit über 4 500 Prüfern ist es unvermeidlich, dass von Zeit zu Zeit einige Probleme auftreten. Diese werden sofort von der Qualitätskontrollgruppe beseitigt“.

Dennoch bleiben die Kritiker:innen des Amtes bei ihrer Behauptung, dass sich die erhöhte Arbeitsbelastung infolge der Forderungen nach mehr Effizienz negativ auf die Qualität der erteilten Patente auswirkt. Mit Blick auf den Strategieplan 2023 sagte ein deutscher Patentanwalt gegenüber JUVE Patent, dass er in Bezug auf die Qualität keine messbaren Veränderungen seit 2019 feststellen konnte.

Kritikpunkte sind unter anderem die Uneinheitlichkeit der Entscheidungen zwischen den Prüfer:innen im Erteilungsverfahren sowie von einer Einspruchsabteilung zur anderen. Zu den Verbesserungswünschen gehören auch mehr Zeit für die Einspruchsabteilungen zur Vorbereitung von Vorbescheiden oder mündliche Anhörungen in komplexen Einspruchsverfahren.

Ein weiterer Kritikpunkt vieler Patentexpert:innen ist die zunehmende Bürokratisierung der Verfahren.

EPA strebt nach Effektivität

Weiterhin sehen viele Patentanwält:innen und Unternehmensjurist:innen das Hauptproblem darin, dass das EPA an seiner Effektivitätsstrategie festhält. Im Gespräch mit JUVE Patent sagt ein IP-Experte: „Das EPA agiert, als wäre es ein gewinnorientiertes Unternehmen. Es ist aber eine Patentprüfungs- und -erteilungsbehörde, die im Dienste der Branche arbeitet und deren Nutzer:innen den Betrieb vollständig finanzieren. Jeder Ansatz, der das Feedback der Nutzer:innen nicht in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, könnte sich nachteilig auf die künftige Unterstützung der Organisation auswirken.“

Das EPA bestreitet jedoch einen direkten Zusammenhang zwischen der gesteigerten Effizienz und der erhöhten Belastung der Prüfer:innen. Ein EPA-Sprecher erklärte gegenüber JUVE Patent, dass das EPA die Effizienzsteigerung nicht dadurch erreiche, dass es die Arbeit „auf die gleiche Art und Weise wie bisher, aber schneller“ erledige.

Stattdessen verbessere das EPA Qualität und Effektivität, indem es seinen Prüfer:innen fortschrittlichere Werkzeuge zur Verfügung stelle, mit denen sie den relevanten Stand der Technik leichter finden und ihre Recherchen und Mitteilungen effizienter vorbereiten könnten.

Das EPA verweist auch auf den Einsatz neuer Instrumente, die eine Qualitätsverbesserung ermöglichen, wie z. B. neue automatische Plausibilitätsprüfungen, die potenzielle Probleme aufzeigen: „Wir nutzen den technologischen Fortschritt, um effektiver zu arbeiten und gleichzeitig unser Augenmerk auf eine gründliche Recherche und Prüfung zu richten.“

Den Funken erneut entfachen

Das EPA legt jedoch großen Wert darauf, die Interessengruppen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Nach Angaben des Sprechers setzt sich das EPA „nachdrücklich dafür ein, seine Produkte und Dienstleistungen in enger Absprache mit den Nutzer:innen kontinuierlich zu verbessern“, indem es verschiedene Beschwerde- und Feedback-Kanäle, wie etwa Umfragen zur Nutzerzufriedenheit, einsetzt.

Die Umfrage 2021, die auf rund 6.000 Interviews über die Recherchen-, Prüfungs- und Einspruchsdienste des EPA basiert, ergab eine Zufriedenheitsquote von 88 % mit den „endgültigen Maßnahmen und Veröffentlichungen“ des Amtes. Kürzlich wurde die nächste Umfrage zur Nutzerzufriedenheit gestartet, welche bis Mitte 2023 laufen wird.

Darüber hinaus hat das EPA im April 2022 seine „Ombudsstelle“ eingerichtet. Laut Webseite bietet sie „einen Raum, in dem man informell und vertraulich über Schwierigkeiten wie z. B. ins Stocken geratene Verfahren sprechen kann“, mit dem Angebot, bei der Lösung solcher Probleme zu helfen. Das EPA sagt: „Darüber hinaus sorgen regelmäßige, umfassende Treffen mit unseren Nutzer:innen wie SACEPO dafür, dass wir mit unseren Anwender:innen in Kontakt bleiben. Wir nehmen alle Bedenken und Rückmeldungen, die sie haben, laufend auf.

Zuhören, nicht nur hören

So hat das EPA die neue Qualitätscharta in enger Zusammenarbeit mit den Beteiligten erarbeitet. Ein EPA-Sprecher erklärte gegenüber JUVE Patent: „Nach Konsultation unserer Nutzer:innen durch die SACEPO-Arbeitsgruppe für Qualität wurde eine Liste mit den Erwartungen der Anwender:innen an die Qualität erstellt. Diese Faktoren bilden zusammen mit einer Vielzahl von Beiträgen von Mitarbeiter:innen in verschiedenen Funktionen im gesamten EPA die Grundlage für die ersten Entwürfe der Qualitätscharta, die im Laufe des Konsultationsprozesses noch verfeinert wurde.“

Die Kritiker:innen des EPA beklagen sich jedenfalls nicht über einen mangelnden Informationsaustausch zwischen den Beteiligten. Das Problem scheint vielmehr nicht ein Mangel an Möglichkeiten zu sein, Bedenken zu äußern, sondern die Frage, ob das EPA wirklich zuhört.

Beat Weibel sagt: „Es gibt eine Menge Kommunikation mit dem EPA. Aber trotz vieler Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden haben wir als Nutzer:innen des EPA das Gefühl, dass wir nicht gehört werden, dass man sich nicht um unsere Anliegen kümmert. Das führt dazu, dass immer mehr Kolleg:innen, die an diesen Arbeitsgruppen teilnehmen, keinen Sinn mehr darin sehen, einen Beitrag zu leisten.“ (Mitverfasser: Joshua Silverwood)       

Dieser Text ist ein Pressebericht von JUVE Patent. Den vollständigen Artikel finden Sie hier.