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Umsetzung der Arzneimittelstrategie für Europa und des Aktionsplans für geistiges Eigentum – Teil 3

Neben der Arzneimittelstrategie für Europa[1] hat die Europäische Kommission im November 2020 einen neuen Aktionsplan für geistiges Eigentum[2] beschlossen, welcher die Unternehmen beim Schutz ihres geistigen Eigentums unterstützen und mit weiteren Maßnahmen zur Förderung der Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums durch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und zur besseren Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums beitragen soll.

Die ersten beiden Beiträge dieser dreiteiligen Beitragsreihe befassen sich mit dem Unterlagenschutz sowie den geplanten Änderungen hinsichtlich ergänzender Schutzzertifikate für Arzneimittel. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der sogenannten Roche-Bolar-Regelung.

Die Roche-Bolar-Regelung

Status Quo 

Zur europäischen Harmonisierung eines Versuchsprivilegs, insbesondere zur Erlangung von Arzneimittelzulassungen, wurde 2005 in Umsetzung von Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83/EG[3] die sog. Bolar-Privileg in § 11 Nr. 2 lit. b) PatG eingeführt. Dieses Marktzugangsprivileg stellt eine weitere Ausnahme vom umfassenden Patentschutz dar und erlaubt als lex specialis über das Versuchsprivileg des § 11 Abs. 2 PatG hinaus die Durchführung von Studien und Versuchen, die für die Erlangung arzneimittelrechtlicher Genehmigung für das Inverkehrbringen in die Europäische Union oder einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oder in Drittstaaten erforderlich sind. Diese Regelung soll den Markteintritt von Generikaherstellern unmittelbar nach Ablauf des Patentschutzes des jeweiligen Referenzarzneimittels ermöglichen.

Unterschiedliche Auslegungen der Umsetzungen in den nationalen Gesetzen erschweren jedoch die Beurteilung des Anwendungsbereichs. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Bereitstellungshandlungen Dritter. Beispielsweise hat das OLG Düsseldorf dem EuGH hierzu im Jahr 2013[4] die Frage vorgelegt, welche Anforderungen an Lieferanten patentgeschützter Wirkstoffe an Generikahersteller zu stellen sind, damit diese ihrerseits die nach Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83/EG privilegierte Forschung im Hinblick auf die Zulassung des Generikums „die erforderlichen Studien und Versuche und die sich daraus ergebenden praktischen Anforderungen“ durchführen können. Da eine entsprechende Beantwortung durch den EUGH wegen der Einstellung des nationalen Verfahrens nicht erfolgte, wird häufig bei der Beurteilung der Fragen in diesem Zusammenhang auf die Auffassung des OLG zurückgegriffen. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf in dem Vorlagebeschluss fällt der Import eines Wirkstoffs, der im patentfreien Ausland hergestellt und zum Zwecke der Durchführung von Versuchen ins patentgeschützte Inland importiert wurde, ebenfalls unter die Roche-Bolar-Regel,  wenn der Dritte in dem Augenblick, in dem er die Bereitstellungshandlung vornimmt, nach den gesamten Umständen davon ausgehen kann, dass der von ihm zur Verfügung gestellte Wirkstoff tatsächlich ausschließlich für privilegierte Zulassungsversuche und -studien verwendet werden wird.

Andere nationale Auslegungen erschweren die Einschätzung. Der Status quo ist daher EU-weit von einer gewissen Unsicherheit geprägt.  

Vorgeschlagene Neuregelung

Die Kommission bezweckt durch Art. 85 des Richtlinienvorschlags, den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung zu konkretisieren, bzw. zu erweitern und unionsweit zu harmonisieren.[5] Gemäß Art. 85 lit. a) des Richtlinienentwurfs sollen Benutzungshandlungen für Studien, Versuche und andere Tätigkeiten privilegiert werden, die durchgeführt werden, um Daten für einen Antrag für folgende Verfahren zu gewinnen: (i) eine Zulassung von Generika, Biosimilars, Hybridarzneimitteln oder biohybriden Arzneimitteln und für spätere Änderungen; (ii) eine Bewertung von Gesundheitstechnologien im Sinne der Verordnung (EU) 2021/2282, sowie (iii) Preisfestsetzung und Kostenerstattung. Im Ergebnis sollen die vorgeschlagenen Maßnahmen einen schnelleren Markteintritt von Generika und Biosimilars erleichtern und damit den Wettbewerb stärken und zu den Zielen der Bezahlbarkeit von Arzneimitteln und des Zugangs der Patienten beitragen.[6]

Änderungen des Parlaments

Zum direkten Vergleich ist nachstehend eine Gegenüberstellung[7] der wesentlichen Änderungen des Textes durch das Parlament im Vergleich zum Kommissionsvorschlag eingefügt:

Artikel 85

Vorschlag der Kommissiongeänderter Text (Parlament)
Patentrechte oder ergänzende Schutzzertifikate […] gelten als nicht verletzt, wenn ein Referenzarzneimittel für folgende Zwecke verwendet wird:  

a) Studien, Prüfungen und andere Tätigkeiten zur Generierung von Daten für einen Antrag auf:
 
i) eine Zulassung von Generika, Biosimilars, Hybridarzneimitteln oder
biohybriden Arzneimitteln und spätere
Änderungen;
 
ii) eine Bewertung von Gesundheitstechnologien im Sinne der Verordnung (EU) 2012/2282;
 
iii) Preisfestsetzung und Erstattung.
 
[iiia] nicht vorhanden 
 
b) Tätigkeiten, die ausschließlich für die unter Buchstabe a genannten Zwecke durchgeführt werden und die die Stellung eines Zulassungsantrags und das Angebot, die Herstellung, den Verkauf, die Lieferung, die Lagerung, die Einfuhr, die Anwendung und den Ankauf von patentierten Arzneimitteln oder Verfahren, auch durch Drittlieferanten und -dienstleister, umfassen können.

Patentrechte oder ergänzende Schutzzertifikate […] gelten als nicht verletzt, wenn erforderliche Studien, Prüfungen und andere Tätigkeiten zur Generierung von Daten zum folgenden Zweck durchgeführt werden:

a) entfällt

i) Erlangung einer Zulassung, auch für spätere Änderungen;
  
ii) Durchführung einer Bewertung von Gesundheitstechnologien im Sinne der Verordnung (EU) 2012/2282;
 
iii) Erlangung von Genehmigungen für Preisfestsetzung und Erstattung;
 
neu iiia) die sich aus diesen Tätigkeiten ergebenden praktischen Anforderungen.
 
b) Tätigkeiten, die ausschließlich für die unter Unterabsatz 1 genannten Zwecke  durchgeführt werden und die, soweit  relevant, die Stellung eines  Zulassungsantrags und das Angebot, die  Herstellung, den Verkauf, die Lieferung,
die Lagerung, die Einfuhr, die Anwendung  und den Ankauf von patentierten  Arzneimitteln oder Verfahren, auch durch  Drittlieferanten und -dienstleister, umfassen.

Während im Vorschlag der Kommission die aktuell vage Formulierung der „sich aus diesen Tätigkeiten ergebenden praktischen Anforderungen“ gestrichen worden war, hat das Parlament genau diese nun wieder aufgenommen. Darüber hinaus wurde die Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel gestrichen. In Abs. 1 lit. a) Ziffer i) wurde die Bezugnahme auf „Generika, Biosimilars, Hybridarzneimitteln oder biohybriden Arzneimitteln und spätere Änderungen“ ersatzlos gestrichen, sodass der Wortlaut nur noch „i) Erlangung einer Zulassung, auch für spätere Änderungen“ vorsieht.

Geht man davon aus, dass sich der von der Kommission intendierte Inhalt des Abs. 1 lit. b) durchsetzt, so liegt darin jedenfalls eine Verbesserung der Rechtssicherheit für Generikahersteller und deren Zulieferer, wohl aber auch ein künftiger Nachteil für Orginatoren.

Artikel 85a

Vorschlag der Kommissiongeänderter Text (Parlament)
  nicht vorhanden      Artikel 85a

Irrelevanz der Rechte des geistigen Eigentums

(1) Die Mitgliedstaaten betrachten die in Artikel 85 genannten Verfahren und Entscheidungen als Rechts- oder Verwaltungsverfahren, die als solche unabhängig von der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind.  

(2) Der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums ist kein triftiger Grund für die Verweigerung, Aussetzung, Verzögerung, Rücknahme oder Aufhebung von Entscheidungen nach Artikel 85.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union und der nationalen Rechtsvorschriften für den Schutz des geistigen Eigentums.

Weitere Ausrichtung

In der geänderten durch das Parlament beschlossenen Fassung überrascht der neu eingefügte Artikel 85a zur „Irrelevanz der Rechte des geistigen Eigentums“, welcher vorsieht, dass die in Artikel 85 genannten Verfahren und Entscheidungen als Rechts- oder Verwaltungsverfahren zu erachten sind, „die als solche unabhängig von der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind“. Unklar ist vor allem, wie Abs. 3 zu verstehen ist: „Die Absätze 1 und 2 gelten unbeschadet der Rechtsvorschriften der Union und der nationalen Rechtsvorschriften für den Schutz des geistigen Eigentums.“

Es bleibt abzuwarten, ob sich der Vorschlag des Parlaments im weiteren Verfahren durchsetzen kann.


[1] Zum Vorschlag der Kommission und der europäischen Arzneimittelstrategie verweisen wir auf frühere Blogbeiträge (4. Januar 2021 und 8. März 2023) sowie Stief/Grabow: Quo vadis Arzneimittelrecht – ein Überblick zur Überarbeitung der EU-Arzneimittelvorschriften, PharmR 2023, 317 ff.

[2] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Das Innovationspotenzial der EU optimal nutzen – Aktionsplan für geistiges Eigentum zur Förderung von Erholung und Resilienz der EU, COM(2020) 760 final.

[3] Sowie idF der RL 2004/27/EG und RL 2004/24EG, vom 30. April 2004, ABl. 2004 L 136, S. 34 (58, 85).

[4] Beschluss vom 5. Dezember 2013, Az. I-2 U 68/12.

[5] Vgl. S.20 des Vorschlags (Erläuterungen) für eine Richtlinie zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/83/EG und der Richtlinie 2009/35/EG, COM(2023) 192 final.

[6] Vgl. Fn. 5, S. 20, letzter Absatz, letzter Satz.

[7] Vgl. S. 115 f. der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. April 2024, COM(2023)0192 – C9-0143/2023 – 2023/0132(COD).

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