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Umsetzung der Arzneimittelstrategie für Europa und des Aktionsplans für geistiges Eigentum – Teil 1

Bereits im November 2020 hat die Europäische Kommission eine neue Arzneimittelstrategie für Europa vorgeschlagen, die die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln gewährleisten und gleichzeitig die globale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors stärken soll.

Konkret formulierte Ziele sind zum einen die Behebung von Schwachstellen, insbesondere bei der Verfügbarkeit von Arzneimitteln, die durch die Pandemie COVID-19 aufgedeckt wurden, sowie einen zukunftssicheren Rechtsrahmens zu schaffen und die Industrie dabei zu unterstützen, die Forschung und Entwicklung von Technologien insbesondere in Bereichen voranzutreiben, die den Patientinnen und Patienten zugutekommen.[1]

Nach einem Impact Assessment und einer öffentlichen Konsultation im März 2021 hatte die EU-Kommission drei verschiedene Optionen geprüft und unter anderem die Durchführung einer Studie zur Unterstützung der Evaluierung und Folgenabschätzung der allgemeinen Arzneimittelgesetzgebung der EU (Richtlinie 2001/83/EG und Verordnung (EG) Nr. 726/2004) beauftragt.[2]

Der schließlich am 26. April 2023 von der Europäischen Kommission angenommene Vorschlag für ein Reformpaket umfasst u.a. eine Neufassung der Richtlinie zum Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Richtlinie zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel und zur Ablösung der Richtlinien 2001/83/EG und 2009/35/EG)[3] sowie die Modifizierung und Ablösung der Verordnungen zur Festlegung von Unionsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (Verordnung Nr. 726/2004) sowie zu neuartigen Therapien (Verordnung Nr. 1394/2007), klinischen Prüfungen (Verordnung Nr. 536/2014), Kinderarzneimitteln (Verordnung Nr. 1901/2006), Arzneimitteln für seltene Leiden (Nr. 141/2000) in einer neuen Verordnung[4].  

Am 10. April 2024 billigte das EU-Parlament die beiden Dossiers, jedoch mit teils erheblichen Änderungen.

Der durch Patente und ergänzende Schutzzertifikate geschaffene Schutz für Arzneimittel interagiert mit den Schutzmöglichkeiten für zugelassene Arzneimittel, welche durch den Unterlagen- und Verwertungsschutz gewährt werden.[5] Diese sind separat voneinander geregelt und sollen es nach den aktuellen Vorschlägen auch künftig bleiben.

Der vorliegende erste Beitrag der dreiteiligen Beitragsreihe beschäftigt sich mit den Änderungsvorschlägen zum Unterlagenschutz.

Unterlagenschutz 

Status quo

Wer in Deutschland ein zulassungspflichtiges Arzneimittel in Verkehr bringen will, muss zunächst das Zulassungsverfahren nach §§ 21 ff. Arzneimittelgesetz (AMG) durchlaufen. Dieses sieht unter anderem vor, dass klinische Prüfungen zur Wirksamkeit des Arzneimittels durchgeführt und die entsprechenden Forschungsergebnisse nach § 22 Abs. 2 AMG der zuständigen Behörde vorgelegt werden. Für Generikahersteller gibt es eine Sonderregelung in Form des § 24b AMG, nach der sie, sofern sie ein Generikum (bezogen auf ein Referenzarzneimittel) vertreiben wollen, auf die Zulassungsunterlagen eines Referenzarzneimittels zurückgreifen können, ohne selbst umfangreiche klinische Prüfungen und Studien durchführen zu müssen.

8+2+1 Regel

Derzeit gilt in Deutschland gemäß § 24b AMG, mit dem Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG umgesetzt wurde, die sogenannte 8+2+1-Regelung, nach der für einen Zeitraum von acht Jahren nach der Zulassung eines Arzneimittels ein Schutz vor dem Zugriff Dritter auf die Zulassungsunterlagen besteht, der nicht-indikationsbezogene sogenannte Unterlagenschutz (im Rahmen von sog. „orphan drugs“ (Arzneimittel für seltene Leiden auch Marktexklusivität[6] genannt). Entscheidet sich ein Generikahersteller für eine Zulassung unter Bezugnahme auf diese Unterlagen, darf er das Arzneimittel für weitere zwei Jahre, also insgesamt zehn Jahre, nicht in Verkehr bringen. Während dieser Zeit gilt der sogenannte Vermarktungsschutz. Diese zwei Jahre können um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn der Hersteller des Referenzarzneimittels innerhalb der ersten acht Jahre nach der Erstzulassung eine weitere Zulassung für ein neues Anwendungsgebiet desselben Arzneimittels erhalten hat.

In der Regel ist damit derzeit eine Marktzugangsbegrenzung (Unterlagenschutz und Vermarktungsschutz) von zehn Jahren vorgesehen.

Vorgeschlagene Neuregelung

Die von der Kommission vorgeschlagene Neuregelung sah zunächst eine wesentlich kompliziertere und kleinteiligere Regelung vor, die durch den Vorschlag des Parlaments[7] wesentlich überarbeitet, aber nicht weniger kompliziert wurde. Im Einzelnen:

Die Kommission hatte ursprünglich, ein 6+2+0,5+0,5+1+2-System vorgeschlagen. Grundsätzlich sollte nach Art. 81 des Richtlinienvorschlags ein sog. Verwertungsschutz (im Vorschlag „Datenschutzfrist“ genannt) von sechs Jahren ab dem Zeitpunkt der Zulassung gelten. Unter bestimmten Voraussetzungen sollte, in verschiedenen Fällen, eine Verlängerung dieser Frist um bis zu vier weiteren Jahren möglich sein. Damit wurde erstmals eine Verlängerungsmöglichkeit nicht für den zweijährigen Vermarktungsschutz, sondern für den Verwertungsschutz vorgesehen. Ausweislich dem Explanatory Memorandum, wollte die Kommission den Fokus auf den Unterlagen- und Verwertungsschutz für innovative Arzneimittel legen, um so die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zu fördern.[8] Gegenüber der bisherigen 8+2+1 Regelung wäre der Schutz durch die vorgeschlagene Neuregelung allerdings im Regelfall auf 8 gegenüber bisher 10 Jahren zu Gunsten der Generika und Biosimilarunternehmen verkürzt worden.

Das Parlament hat nun eine Änderung in Form einer 7,5 + 1 + 0,5 (aber max. 8,5) + 2 + 1 Regelung vorgeschlagen.

Die Verlängerung des Verwertungsschutzes von grundsätzlich 7,5 Jahren (im Vorschlag „Unterlagenschutz“), soll nun um ein Jahr für Arzneimittel, die einen ungedeckten medizinischen Bedarf decken, und um sechs Monate erfolgen können, wenn die Zulassungsforschung innerhalb der EU und zumindest teilweise in Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen wie Universitäten durchgeführt wurde. Die Datenexklusivität soll jedoch insgesamt achteinhalb Jahre nicht überschreiten, so dass daraus geschlossen werden muss, dass entgegen dem Wortlaut die Verlängerung im Falle einer Zweitzulassung nicht um 12 Monate, sondern um 6 oder 12 Monate erfolgt, je nachdem, ob bereits eine Verlängerung um 6 Monate gewährt wurde oder nicht.

Hinsichtlich dem Vermarktungsschutz soll es auch nach dem Vorschlag des Parlaments bei zwei Jahren bleiben. Das Verlängerungsprivileg von einem weiteren Jahr für den Fall, dass ein Arzneimittel eine neue Zulassung für eine weitere Indikation mit erheblichem klinischem Nutzen erhält, wurde wieder aufgenommen.

Insgesamt könnte also nach dem Vorschlag des Parlaments der Unterlagenschutz auf längstens 11,5 Jahre verlängert werden, wobei der Regelfall eine Verkürzung des Schutzes auf 9,5 Jahre gegenüber den bisher möglichen 10 Jahren darstellen würde.

Aussetzung des Unterlagenschutzes

Vom Parlament unverändert sieht Art. 80 Abs. 4 des neuen Richtlinienvorschlags eine Aussetzung des  Unterlagenschutz, für den Fall vor, dass eine Zwangslizenz zur Bewältigung einer gesundheitlichen Notlage erteilt wurde. Zur Schaffung entsprechender unionsrechtlicher Zwangslizenzen in Krisenzeiten wurde ein eigener Verordnungsvorschlag eingebracht, der insbesondere darauf abzielt, den nach Ansicht der Kommission bestehenden „Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Regelungen“ zu vereinheitlichen.[9]

Weitere Ausrichtung

Interessant am Vorschlag des Parlaments ist nicht nur die Änderung der jeweiligen Fristen, sondern vor allem die Änderung der Gründe für die Fristverlängerung. So wurde Artikel 81 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a, der bspw. die 24-monatige Verlängerungsmöglichkeit für KMUs und bspw. Einrichtungen, die keiner Wirtschaftstätigkeit nachgehen, vorsah, ersatzlos aufgegeben.

Es bleibt abzuwarten, ob der Vorschlag des Parlaments in der vorliegenden Form Bestand haben wird. Bislang hat der Vorschlag erst die erste Lesung im Parlament „überstanden“ und muss sich nun in den weiteren Beratungen bewähren.


[1] Zum Vorschlag der Kommission und der europäischen Arzneimittelstrategie verweisen wir auf frühere Blogbeiträge (4. Januar 2021 und 8. März 2023) sowie Stief/Grabow: Quo vadis Arzneimittelrecht – ein Überblick zur Überarbeitung der EU-Arzneimittelvorschriften, PharmR 2023, 317 ff.

[2] European Commission, Directorate-General for Health and Food Safety, Jongh, T., Becker, D., Boulestreau, M. et al. (2021) Future-proofing pharmaceutical legislation – Study on medicine shortages: final report (revised). Publications Office of the European Union. https://data.europa.eu/doi/10.2875/211485

[3] Änderungsvorschlag der Kommission: COM/2023/192 final, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52023PC0192.

[4] Änderungsvorschlag der Kommission. COM/2023/193 final, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52023PC0193.

[5] Stief/Grabow: Quo vadis Arzneimittelrecht – ein Überblick zur Überarbeitung der EU-Arzneimittelvorschriften, PharmR 2023, 317.

[6] Artikel 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr 141/2000.

[7] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0220_DE.pdf sowie https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0221_DE.pdf.

[8] Explanatory Memorandum (COM(90) 101 final – SYN255), S. 16: Unterlagenschutz für innovative Arzneimittel bis zu 12 Jahre; erwähnt sei die Übergangsfrist – die neuen Regelungen sollten nicht für Referenzarzneimittel, für die vor 18 Monate nach Inkrafttreten der RL Zulassungsanträge gestellt worden sind, gelten.

[9] Kommissionsvorschlag COM/2023/224 final, abzurufen unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:a58d3568-e4e2-11ed-a05c-01aa75ed71a1.0017.02/DOC_1&format=PDF; Parlamentsvorschlag P9 TA(2024)0143, abzurufen unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0143_DE.pdf.

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