OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2021, Az. I-2 W 17/21 – Aussetzungsmaßstab
Nach Aufrechterhaltung des Klagepatents durch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) und sich daran anschließender, auf im Einspruchsverfahren noch unberücksichtigten Stand der Technik gestützten Nichtigkeitsklage, wurde der parallele Verletzungsrechtsstreit durch das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 3. September 2020 zunächst ausgesetzt.
Auf die hiergegen gerichtete statthafte und zulässige sofortige Beschwerde der Verletzungsklägerin hin hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Aussetzungsbeschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht kommt aus den nachfolgenden Gründen zu dem Schluss, dass das Landgericht von einem unzutreffenden Aussetzungsmaßstab ausgegangen ist.
Zunächst stimmen Landgericht und Oberlandesgericht überein, dass es im Ermessen des Ausgangsgerichts stehe, ob das Verfahren nach § 148 ZPO ausgesetzt werde. Die erforderliche Vorgreiflichkeit des Nichtigkeitsverfahrens gegen das Klagepatent liege vor und die erhobene Nichtigkeitsklage sei auch nicht deshalb gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG unzulässig, weil das Einspruchsverfahren vor dem EPA noch nicht abgeschlossen ist, da die Beschreibungsanpassung durch die Einspruchsabteilung unmittelbar anstehe und keiner der Beteiligten ein Rechtsmittel hiergegen beabsichtige.
Angesichts der Aufrechterhaltung des Klagepatents durch die Technische Beschwerdekammer gelte jedoch grundsätzlich ein verschärfter Aussetzungsmaßstab. Sofern die die Patentfähigkeit bejahende Argumentation im Rechtsbestandsverfahren mit nachvollziehbaren Gründen vertretbar erscheine, habe das Verletzungsgericht – so das Oberlandesgericht – dieser Einschätzung zu folgen. In diesen Fällen bleibe für eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens grundsätzlich kein Raum. Etwas anderes gelte nur ausnahmsweise bei Vorliegen ganz besonderer Umstände, z.B. weil sich die Aufrechterhaltung des Klagepatents aus Sicht des Verletzungsgerichts als evident falsch erweise und daher von einer Korrektur im nachfolgenden Rechtsbestandsverfahren auszugehen sei, oder wenn ein bisher im Rechtsbestandsverfahren nicht gewürdigter Stand der Technik (ohne Nachlässigkeitsvorwurf) präsentiert werde, der die Vernichtung des Klagepatents erwarten lasse.
Die letztgenannte Konstellation sei, so das Oberlandesgericht, beispielsweise denkbar, wenn ein bestimmter Stand der Technik von Rechts wegen nur im nationalen Nichtigkeitsverfahren relevant ist, aber nicht im europäischen Einspruchsverfahren. Hierzu müsse der Beklagte aufzeigen, in welchen Punkten sich die europäische und die nationale Rechtslage unterscheiden und warum, mit Blick auf das nachfolgende (zukünftige) nationale Nichtigkeitsverfahren, trotz ausreichend gründlicher Recherche der betreffende Stand der Technik zuvor nicht aufgefunden werden konnte. Gelingt dem Beklagten dies, sei eine Aussetzung bei überwiegender Erfolgsaussicht der Nichtigkeitsklage ausnahmsweise möglich.
Im vorliegenden Verfahren stellt das Oberlandesgericht jedoch fest, dass die Aussetzungsentscheidung des Landgerichts nicht ermessensfehlerfrei sei. So habe das Landgericht zum einen keine Feststellungen zur möglichen Nachlässigkeit bei der verspäteten Vorlage des Standes der Technik getroffen. Zum anderen hätte es nach dem Oberlandesgericht näherer Erläuterungen des Landgerichts dazu bedurft, aus welchem Grund es sich in der Lage sieht, die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer als (evident) falsch anzusehen. Die praxisrelevante Entscheidung im Spannungsfeld zwischen den häufig parallellaufenden Einspruchs-, Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren zeigt die unterschiedlichen Interessenlagen der beteiligten Parteien auf und verdeutlicht die gesteigerten Sorgfaltsanforderungen der Parteien bei der Vorbereitung und Durchführung der Verfahren. Aus Sicht der Beklagten im Verletzungsverfahren gilt dies insbesondere auch im Hinblick auf die Recherchen nach dem Stand der Technik zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, d.h. idealerweise schon im Vorfeld des Einspruchsverfahrens. Die erneute Entscheidung des Landgerichts unter Beachtung der Ausführungen des Oberlandesgerichts wird mit Interesse erwartet.