Am 10. Mai wurde die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen („Vertikal-GVO“) von der EU-Kommission angenommen, die durch die neuen Vertikal-Leitlinien ergänzt wird. Die neuen Vorschriften sollen vornehmlich die Vereinbarkeit von Liefer- und Vertriebsvereinbarungen mit den EU-Wettbewerbsvorschriften verbessern. Die beiden überarbeiteten Regelwerke treten am 1. Juni 2022 in Kraft.
Die für Wettbewerbspolitik zuständige Kommissarin Margrethe Vestager legte Wert auf die Anpassung der Vorschriften an den Wettbewerb der kommenden Jahre: „Die neuen Vorschriften werden den Unternehmen aktuelle Orientierungshilfen bieten, die auf eine noch stärkere Digitalisierung im kommenden Jahrzehnt ausgelegt sind.“
Hintergrund
Vertikale Vereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr auf unterschiedlichen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette tätigen Unternehmen, die die Bedingungen betreffen, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.
Die Vertikal-GVO nimmt vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, vom Verbot des Artikels 101 Absatz 1 AEUV aus. Die Vertikal-GVO wird durch die Leitlinien ergänzt, in denen erläutert wird, wie die Vertikal-GVO auszulegen und anzuwenden ist und wie vertikale Vereinbarungen, die nicht von ihr geschützt sind, zu prüfen sind.
Wichtigste Änderungen in den überarbeiteten Vorschriften
Die Vertikal-GVO schafft Ausnahmen von dem Verbot des Artikels 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind.
Dazu müssen Voraussetzungen erfüllt sein, die im Vorfeld zu der nun beschlossenen Vertikal-GVO über mehrere Jahre diskutiert wurden. Die Evaluierung begann im Oktober 2018, die Konsultationsphase endete im Mai 2019. Im Oktober 2020 veröffentlichte die Kommission das „VBER inception impact assessment“ und eröffnete die Möglichkeit zur Rückmeldung bis zum 20. November 2020. Die hohe Anzahl der Rückmeldungen zeigt die Relevanz und Brisanz (164 Rückmeldungen, unter anderem von 93 Verbänden und 42 Unternehmen/Unternehmensverbänden). In der Konsultationsphase im vergangenen Jahr gab es erneut viele Rückmeldungen. Im Wesentlichen zeigt die Auswertung, dass viele Unternehmen und Verbände nicht klar wussten, wann und wie die bisherigen Vorschriften anwendbar und anzuwenden waren.
Die nun beschlossenen Änderungen beinhalten sowohl Einschränkungen als auch Erweiterungen:
Einschränkung des geschützten Bereichs: Es werden bestimmte Aspekte des zweigleisigen Vertriebs und bestimmte Arten von Paritätsverpflichtungen nach der neuen Vertikal-GVO nicht mehr freigestellt sein, sondern müssen stattdessen einzeln nach Artikel 101 AEUV geprüft werden.
Erweiterung des geschützten Bereichs: Beschränkungen der Möglichkeit eines Abnehmers, sich aktiv an einzelne Kunden zu wenden (aktiver Verkauf), und bestimmte Praktiken in Bezug auf den Online-Verkauf sind nach der neuen Vertikal-GVO künftig freigestellt, sofern alle anderen Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Beispiele für besonders interessante Änderungen
Artikel 1(1)(l) in Verbindung mit Artikel 1(1)(n) enthält eine Definition der aktiven Verkaufsbeschränkungen. Darüber hinaus enthält die neue Vertikal-GVO Vorschläge für Änderungen an den Vorschriften über aktive Verkaufsbeschränkungen.
In Artikel 4 b) wird die Möglichkeit einer ‚geteilten Ausschließlichkeit‘ eingeführt, die es einem Anbieter erlaubt bis zu maximal 5 Vertriebshändler pro Gebiet oder Kundengruppe zu ernennen.
Eine weitere Änderung in Bezug auf den Alleinvertrieb betrifft die Möglichkeit des Anbieters, seine Händler zu verpflichten, Beschränkungen des aktiven Verkaufs an ihre Kunden ‚weiterzugeben‘. Die neue GVO und die neuen Vertikal-Leitlinien stellen klar, dass die Gruppenfreistellung auch dann gilt, wenn ein Anbieter von seinen Vertriebshändlern verlangt, Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebieten oder Kundengruppen, die in Gebiete oder Kundengruppen ‚weiterzugeben‘, die ausschließlich anderen Vertriebshändlern zugewiesen sind. Allerdings ist eine solche Weitergabe in der weiteren Vertriebskette nicht freigestellt.
Die EU-Kommission hat einige Informationen zu den wichtigsten Änderungen in einem erläuternden Vermerk veröffentlicht.