Mit C-702/18P vom 18. Juni 2020 hat der EuGH festgestellt, dass die Beurteilung der originären Kennzeichnungskraft einer älteren Marke eine Rechtsfrage darstellt und vom EUIPO unabhängig davon geprüft werden muss, ob die Parteien hierzu Ausführungen gemacht haben.
Hintergrund ist die Unionsmarkenanmeldung 013682299 in Klasse 30, u.a. für Zucker, Kaffee, Tee und Speiseeis. Basierend auf Art. 8(1)(b) UMV wurde Widerspruch auf der Basis der spanischen Marke 2578815 PRIMA erhoben, ebenfalls beanspruchend Waren in Klasse 30. Nach dessen Zurückweisung hob anschließend die Beschwerdekammer die Entscheidung auf und bejahte die Verwechslungsgefahr mit der Begründung, dass die Verkehrskreise in Spanien das Wort „prima“ nicht als „hervorragende Qualität von etwas“, sondern „Cousine“ oder „Bonuszahlung“ auffasse. Mithin weise die Widerspruchsmarke eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft auf, ohne Hinweise auf die betroffenen Waren.
In seiner Klage vor dem Gericht führte die Anmelderin erstmals die schwache Kennzeichnungskraft der älteren Marke und damit eine Verletzung von Art. 8 UMV der angefochtenen Entscheidung an. Das Gericht wies die Klage nach Art. 76(1) UMV als unzulässig wegen verspäteten Vorbringens zurück. Auch sei es nach Art. 188 UMV den Parteien verwehrt, durch Schriftsätze bei Gericht den Streitgegenstand vor der Beschwerdekammer zu ändern.
Im Folgeurteil bestätigte der EuGH den grundsätzlichen Ansatz des Gerichts, hob jedoch Art. 76(1) Satz 1 UMV hervor, wonach „in den Verfahren vor dem EUIPO der Sachverhalt von Amts wegen zu prüfen ist. Soweit es sich jedoch um Verfahren bezüglich relativer Eintragungshindernisse handelt, ist es bei seiner Ermittlung auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt“. Da das EUIPO Art. 8 UMV fehlerfrei anzuwenden hat, fährt der EuGH fort, ist die Beurteilung der Kennzeichnungskraft nicht nur eine Sach-, sondern auch eine Rechtsfrage, die unabhängig vom Vortrag der Parteien in jeder Lage des Widerspruchsverfahrens zu prüfen ist. Die Entscheidung des Gerichts wurde wegen Verletzung von Art. 76 UMV vom EuGH aufgehoben und an das Gericht zurückgewiesen.
Praktischer Tipp: Obgleich der EuGH damit die Stellung der Anmelder etwas gestärkt hat, sollten diese stets darauf achten, präsente Tatsachen und Beweise möglichst bereits vor der Widerspruchsabteilung vorzulegen, da das EUIPO verspätetes Vorbringen gemäß Art. 76(2) UMV zurückweisen kann.