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Äquivalente Patentverletzung in unterschiedlichen Jurisdiktionen in Europa

Im Rahmen unseres regelmäßigen internen Anwaltsseminars hielt Dr. Wilhelm Eger einen Vortrag zu aktuellen Entwicklungen bei der äquivalenten Patentverletzung in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen. Dabei standen sowohl Unterschiede und Gemeinsamkeiten als auch die Behandlung von Zahlen- und Maßangaben im Fokus. Neben einer detaillierten Analyse der Situation in Deutschland wurden insbesondere Großbritannien, Frankreich, Österreich und die Schweiz näher untersucht. Auch die Entwicklungen in den Niederlanden und Belgien wurden beleuchtet.

Der Pemetrexed- oder Actavis-v.-Eli-Lilly-Fall hatte 2017 in vielen europäischen Jurisdiktionen erheblichen Einfluss auf die Rechtsprechung zur äquivalenten Patentverletzung. Der Fall betraf ein europäisches Patent, das die Verwendung des Wirkstoffs Pemetrexeddinatrium in Kombination mit Vitamin B12 zur Hemmung des Tumorwachstums beanspruchte. Die Verletzungsform bestand aus einem anderen Pemetrexed-Salz, Pemetrexeddikalium, wobei strittig war, ob dieses in den Schutzbereich des Patents fiel. Die Beschreibung offenbarte Antifolate als grundsätzlich geeignete Gattung, wobei unter den Pemetrexed-Salzen im Erteilungsverfahren Pemetrexeddinatrium ausgewählt worden war.

Im Gegensatz zu BGH Okklusionsvorrichtung, bei dem der Bundesgerichtshof (BGH) eine Beschränkung des Schutzbereichs bei einer Auswahlentscheidung zwischen offenbarten Alternativen angenommen hatte, war die Verletzungsform Pemetrexeddikalium in der Beschreibung nicht offenbart. Der BGH übertrug allerdings seine Rechtsprechung zur Auswahl zwischen offenbarten Alternativen nicht auf nicht-offenbarte, aber auffindbare Alternativen. Als weiteren Aspekt zog der BGH die Anspruchsgeschichte heran, wobei die Anmelderin den Patentanspruch im Erteilungsverfahren auf die Verwendung von Pemetrexeddinatrium als einzig offenbarten erfindungsgemäßen Stoff beschränken musste. Eine solche Beschränkung sieht der BGH jedoch nicht als Einschränkung des Äquivalenzbereichs. Damit relativierte der BGH die zuvor stark betonte Verzichtsrechtsprechung, die in BGH Okklusionsvorrichtung und BGH Diglycidverbindung entwickelt wurde. In Ausnahmefällen kann nun die Erteilungshistorie bei Unklarheiten herangezogen werden, wobei diese Maßnahme restriktiv gehandhabt wird.

In Großbritannien waren die Auswirkungen des Pemetrexed-Falls sogar noch gravierender. Bis dahin gab es dort im Grunde keine äquivalente Patentverletzung; vielmehr wurden Ansprüche danach ausgelegt, welchen Schutzbereich der Patentinhaber aus Sicht des Fachmanns beanspruchen wollte. Diese Sichtweise spiegelte sich in den sogenannten drei Improver-Fragen wider. Der britische Oberste Gerichtshof änderte jedoch im Rahmen der Rechtsprechung zum Pemetrexed-Fall diese Doktrin, indem er die ersten beiden Improver-Fragen umformulierte und dabei das durch das Äquivalent erreichte Ergebnis und die generelle erfinderische Idee berücksichtigte. Diese Änderung führte zu einem Paradigmenwechsel hin zu einer Rechtsprechung, die eine äquivalente Patentverletzung bejaht.

In der Schweiz hat sich eine Mischung aus den ersten beiden Schneidmesser-Fragen und der dritten Improver-Frage etabliert. Die Erteilungshistorie wird ausschließlich bei einer Verzichtserklärung zur Abgrenzung vom Stand der Technik berücksichtigt. 2023 entschied das Schweizerische Bundesgericht im Fall BG Deferasirox, dass im Rahmen der äquivalenten Patentverletzung die im Anspruch angegebenen Bereiche nicht erweitert werden könnten und Toleranzbereiche wie bei einer wortwörtlichen Verletzung unberücksichtigt bleiben. Damit ist die Rechtsprechung in der Schweiz bezüglich Zahlenbereichen strikter als in Deutschland.

Österreich hat eine lange Tradition in der äquivalenten Patentverletzung und lehnt sich in der Rechtsprechung seit OGH Bicalutamid II (2008) stark an die Schneidmesser-Fragen des BGH an. Bei der Frage der Auffindbarkeit im Rahmen der zweiten Schneidmesser-Frage spielt wie in Deutschland die Erfindungshöhe eine Rolle. Zahlenbereiche werden in Österreich wie andere ausgetauschte Mittel behandelt, was eine weniger strikte Auslegung als in Deutschland bedeutet und eine Ausdehnung des Äquivalenzbereichs auch für Zahlenbereiche erlaubt. Es gibt jedoch noch keine Rechtsprechung zum impliziten Verzicht durch Auswahlentscheidungen.

In Frankreich wurde ein zweistufiges Verfahren zur Ermittlung der äquivalenten Patentverletzung etabliert. Zunächst wird geprüft, ob die Verletzungsform alle wesentlichen Merkmale des Anspruchs abbildet, wobei wesentliche Merkmale sowohl solche sind, die zur Lösung des technischen Problems notwendig sind, als auch Merkmale, die zur Herstellung von Neuheit und/oder erfinderischer Tätigkeit in den Anspruch aufgenommen wurden. Falls diese Frage verneint wird, wird untersucht, ob die Verletzungsform die gleiche Funktion des nicht wiedergegebenen wesentlichen Merkmals mit ähnlichem Ergebnis erfüllt. Diese Funktion muss jedoch neu sein. Anders als in Deutschland spielt die Erfindungshöhe in dieser Prüfung keine Rolle, was tendenziell zu einem breiteren Schutzbereich führt. Im Fall Technogenia vs. Atelier Joseph (2004 und 2007 bestätigt) wurde der bis dato strikte Ansatz in Bezug auf Zahlenbereiche gelockert, sodass auch diese Bereiche einer äquivalenten Prüfung unterzogen werden. Die Erteilungshistorie spielt vor allem bei Einschränkungen zur Abgrenzung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit eine Rolle.

In Italien, den Niederlanden und Belgien führte der Pemetrexed-Fall zu einer Abkehr vom bis dahin praktizierten FWR-Test (Funktion, Weg, Resultat). In diesem Test spielte die Auffindbarkeit keine Rolle, jedoch wurde die Erteilungshistorie berücksichtigt. In Italien ersetzte der Offensichtlichkeitstest den FWR-Test und entspricht einer Kombination der ersten beiden Schneidmesser-Fragen. Der Kassationsgerichtshof entschied in 2977/2020 (bestätigt durch 112/2022), dass die bisherige Praxis der Betrachtung der Erteilungshistorie stark limitiert wird.

In den Niederlanden und Belgien führte der Pemetrexed-Fall zur Einführung einer Mischung aus Improver- und Schneidmesser-Fragen. Dabei wird die Erteilungshistorie weiterhin berücksichtigt, insbesondere die Gründe für Einschränkungen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Pemetrexed-Fall einen Trend zur Harmonisierung der europäischen Rechtsprechung zur äquivalenten Patentverletzung ausgelöst hat. Es zeichnet sich ab, dass bestehende Systeme wie der an das US-amerikanische System angelehnte FWR-Test und die klassischen Improver-Fragen durch einen an die kontinentale Rechtsprechung angelehnten Fragenkatalog ersetzt werden. Dieser führt zu einer objektiven Anspruchsauslegung unter Berücksichtigung der Auffindbarkeit und einer nur sehr eingeschränkten Betrachtung der Erteilungshistorie. Hinsichtlich der Frage, wie Zahlenbereiche im Rahmen einer äquivalenten Patentverletzung zu beurteilen sind, bleibt die europäische Rechtsprechung jedoch fragmentiert.

Die Beiträge im Maiwald-Blog stellen lediglich einen Überblick zu aktuellen rechtlichen Themen, Gesetzgebungsvorhaben sowie Rechtsprechung dar und dienen der allgemeinen Information und ersetzen keinesfalls eine konkrete Beratung im Einzelfall. Wenn Sie Fragen zu den hier angesprochenen oder anderen Themen und Rechtsgebieten haben, steht Ihnen Ihr persönlicher Ansprechpartner bei Maiwald oder der jeweils im Beitrag genannte Verfasser gerne jederzeit zur Verfügung.

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