Erweiterte Kompetenzen der Bundesregierung
Derzeit sehen sich Unternehmen der Pharma- und Medizinproduktebranche zum einen mit erheblichen Eingriffsbefugnissen der Bundesregierung, die jederzeit auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Gesetz“) durch Verordnungen geschaffen werden können, zum anderen mit Ausfuhrbeschränkungen konfrontiert.
Das Gesetz eröffnet den Rechtsrahmen für weitreichende Maßnahmen in Bezug auf Medizinprodukte, Diagnostika, Schutzausrüstung, Pharmazeutika und Betäubungsmittel, pharmazeutische Wirkstoffe und Hilfsstoffe. Diese Maßnahmen sind relevant für Hersteller, Lieferanten von Rohstoffen sowie Hilfsprodukten und Dienstleistungen für diese Waren.
Mit dem Gesetz wird unter anderem das Infektionsschutzgesetz geändert und das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt, durch Verordnung, folglich ohne Zustimmung des Bundesrats, unter anderem Maßnahmen zur Beschaffung, Lagerung, Verteilung und Lieferung von Medizinprodukten, Geräten, Diagnostika, Schutzausrüstung, Arzneimitteln und Betäubungsmitteln, aktiven pharmazeutische Inhaltsstoffen und Hilfsmitteln anzuordnen. Bei Bedarf kann darüber hinaus die Beschlagnahme und Verwendung solcher Produkte erfolgen.
Eingriffe in Produktions- und Abnahmeketten
Das Gesetz ermächtigt das Gesundheitsministerium somit in erheblichem Maße in die Produktions- und Abnahmeketten von Pharmaunternehmen, Medizinprodukteherstellern und Zulieferern einzugreifen.
Beispielhaft sei hier die durch das Gesetz vorgesehene Änderung des § 5 Abs.2 Nr.4 InfSG genannt:
„durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Betäubungsmitteln, der Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe dafür, mit Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, sowie mit Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion zu treffen und insbesondere
a) Ausnahmen von den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Betäubungsmittelgesetzes, […]
der medizinprodukterechtlichen Vorschriften und der die persönliche Schutzausrüstung betreffenden Vorschriften zum Arbeitsschutz, die die Herstellung, Kennzeichnung, Zulassung, klinische Prüfung, Anwendung, Verschreibung und Abgabe, Ein- und Ausfuhr, das Verbringen und die Haftung, […] zuzulassen,
b) die zuständigen Behörden zu ermächtigen, im Einzelfall Ausnahmen von den in Buchstabe a genannten Vorschriften zu gestatten, insbesondere Ausnahmen von den Vorschriften zur Herstellung, Kennzeichnung, Anwendung, Verschreibung und Abgabe, zur Ein- und Ausfuhr und zum Verbringen […]
(f) Regelungen zur Abgabe, Preisbildung […] vorzusehen.“
Auswirkungen auf grenzüberschreitende Lieferketten
Für die Hersteller der vorstehend genannten Produkte stellt sich nun die Frage, wie sich eine entsprechende Verordnung auf den Import und die Produktion auswirken wird. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Anwendungsbereich ausschließlich auf die deutschen Produktionsstätten bezogen ist.
Des Weiteren stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die resultierenden Verordnungen (wie bspw. die Arzneimittelversorgungsverordnung vom 08. April) zur Einfuhr von Zulieferungsprodukten/Bestandteilen stehen.
Da das Gesetz und die darauf basierenden Verordnungen in den Betrieb deutscher Unternehmen eingreifen, aber nicht die Tätigkeiten ausländischer Unternehmen beeinflussen dürfen, wird es faktisch erhebliche Wettbewerbsverschiebungen geben. Beispielhaft sei angenommen, dass ein deutsches Biotechunternehmen durch die in § 5 vorgesehenen Maßnahmen betroffen ist und seine amerikanischen Pharmakunden nicht mehr beliefern darf.
Hingegen dürfte es weiterhin möglich sein, dass ein deutsches Pharmaunternehmen Hilfsstoffe von einem Unternehmen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat oder den USA erhält.
Neue Verordnungen im Bereich Arzneimittel und Medizinprodukte
Ein unmittelbares Ergebnis dieser erweiterten, sich aus dem Gesetz ergebenden Kompetenzen ist die Verordnung zu Beschaffung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie (BAnz AT 09.04.2020 V3).
Auch die Arzneimittelversorgungsverordnung (Verordnung über Abweichungen von den Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des Apothekengesetzes, der Apothekenbetriebsordnung, der Arzneimittelpreisverordnung, des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung infolge der SARS-CoV-2-Epidemie (SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung, BAnz AT 21.04.2020) basiert auf dem Gesetz.
Branchenrelevant ist insbesondere § 7 dieser VO. Das Bundesgesundheitsministerium und von diesem benannte Stellen können von Herstellern und Vertreibern von versorgungsrelevanten Produkten des medizinischen Bedarfs Auskünfte etwa zu Produktionsmengen, Lagerbeständen und Preisen verlangen.
Hersteller und Vertreiber von versorgungsrelevanten Produkten des medizinischen Bedarfs müssen „im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der Produkte sicher(stellen).“ Verstöße gegen die Auskunftspflicht und das Verbot der Erhebung von Aufschlägen können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Nationale und EU-weite Regelungen für Export/Import
Im unmittelbaren Vergleich haben beispielsweise Frankreich, Italien und Spanien ähnliche Ermächtigungsgesetze vorgesehen.
Die französische Regierung hat am 23. März 2020 das Notstandsgesetz Nr. 2020-290 zur Bekämpfung des COVID-19 Epidemie („Notstandsgesetz“) erlassen, dies allerdings nur für einen Zeitraum von zwei Monaten. Unter diesem Gesetzesregime haben der Premierminister und der Gesundheitsminister die Möglichkeit, außergewöhnliche Maßnahmen zur Bewältigung einer Epidemie zu ergreifen, insbesondere Einschränkung der öffentlichen Freiheiten und der Auferlegung von Preisobergrenzen für bestimmte Produkte im Falle von Lagerbeständen oder Lieferungen, Beschlagnahme der notwendigen Waren und Dienstleistungen und Medikamenten. Des Weiteren ermächtigt das Notstandsgesetz die französische Regierung für einen drei-Monats-Zeitraum ab dem 12. März 2020, Regierungsverordnungen zu nutzen, um neue gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, ohne das französische Parlament.
Alle Maßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Krise stehen, und beendet werden sobald diese nicht mehr notwendig sind. Weder das IfSG noch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite setzen für die Maßnahmen unter den Verordnungen ausdrücklich Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit voraus.
Das britische Ministerium für Gesundheit und Soziales (DHSC) hat in der vergangenen Woche 80 „wichtige“ Arzneimittel, die europaweit stark nachgefragt sind, vom parallelen Export ausgeschlossen.
Der parallele Export von Arzneimitteln basiert auf dem Prinzip des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen, in Bezug auf Arzneimittel jene, die in einen anderen europäischen Mitgliedstaat (oder sogar in ein europäisches Land außerhalb der EU) verkauft und dann vom Parallelimporteur auf seinem Inlandsmarkt vertrieben werden.
Zugleich gelten bereits Ausfuhrbeschränkungen.
Am 14. März 2020 erließ die EU-Kommission eine entsprechende Durchführungsverordnung (Commission Implementing Regulation (EU) 2020/402 of 14 March 2020 making the exportation of certain products subject to the production of an export authorisation C/2020/1751, OJ L 77I , 15.3.2020, p. 1–7) mit einem Exportverbot für Mitgliedsstaaten der EU in Drittländer zur Sicherstellung der Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung sowie Handschuhen und Gesichtsschildern in der EU, welche am 15. März 2020 in Kraft trat. In der Folge wurde das nationale Exportverbot aufgehoben, welches auf Grundlage der §§ 6 Abs. 1 und 4 Abs. 1 Nr. 5 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bereits am 12. März 2020 als Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung erlassen worden war. Im Einzelfall kann jedoch auf Antrag eine Ausnahme erteilt werden, wenn beispielsweise die Ausfuhr erforderlich ist, um den Betrieb einer Tochtergesellschaft in einem Drittstaat aufrechtzuerhalten.
Da die Verordnung der EU-Kommission nicht für die Verbringung gilt, ist der Transport in EU-Länder möglich.
Neue Regelungen – das ist zu beachten
Die Komplexität der unterschiedlichen nationalen und EU-weit geltenden Regelungen stellt Unternehmen vor erhebliche rechtliche Fragestellungen.
Welche Leistungen, Lieferungen, sowie welche Ausfuhr und Einfuhr innerhalb von Deutschland aber auch innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums gestattet sind unterliegt inzwischen nicht nur den EU-rechtlichen, sondern den nationalen Regelungen. Deshalb ist es umso wichtiger diese Regelungen im Blick zu behalten.