OLG München, Endurteil v. 30. September 2021 – Az. 6 U 6754/20
§ 253 Abs. 2 ZPO verpflichtet den Kläger im Klageverfahren sowie den Antragsteller im Verfügungsverfahren einen gerichtlichen Antrag hinreichend bestimmt zu formulieren. Zum einen muss das Gericht erkennen, worüber es entscheidet und zum anderen muss der Beklagte bzw. Antraggegner entnehmen können, welches Verhalten ihm erlaubt bleibt und bei welchem Verhalten er ein Ordnungsmittel riskiert. Etwaige Zweifel über die Reichweite der Verurteilung dürfen nicht dem Ordnungsmittel- oder Vollstreckungsverfahren überlassen werden. Insbesondere in wettbewerbsrechtlichen Verfahren stellt sich daher häufig die Frage nach der Möglichkeit der Darstellung beispielsweise eines angegriffenen wettbewerbsrechtlichen Verhaltens um eine hinreichende Bestimmtheit des Antrags sicherzustellen.
Im zugrundeliegenden Fall haben mehrere Münchener und überregionale Zeitungsverlage bzw. die für deren Online-Auftritte verantwortlichen Unternehmen im Jahr 2019 die Betreiber der Internetseite muenchen.de wegen wettbewerbswidrigen Verstoßes gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot der „Staatsferne der Presse“ in Verbindung mit § 3a UWG abgemahnt und in Folge der Weigerung der Abgabe der geforderten strafbewehrten Unterlassungserklärung vor dem LG München I einen entsprechenden Unterlassungsanspruch geltend gemacht.
Bei der bereits seit dem Jahr 2004 abrufbaren Internetseite muenchen.de handelt es sich um das offizielle Stadtportal der Landeshauptstadt München, eines der – nach Darstellung der Beklagten – meistbesuchten Serviceportale und deutschen Stadtportale mit mehreren Millionen Aufrufen pro Monat.
Das LG hat den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch bejaht und mit Endurteil vom 17. November 2020 die Beklagte verurteilt, „es zu unterlassen, das Telemedienangebot muenchen.de zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots zwischen dem 16.08 bis 19.09.2019 auf dem USB-Stick Anlage K1 wiedergegeben“ (Az. 33 O 16274/19).
Unter geringfügiger Abänderung des Unterlassungstenors (Entfall der Wörter „zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder“) wurde die Entscheidung des LGs durch Endurteil des OLG vom 30. September 2021 aufrechterhalten und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.
Nach Ansicht des OLG ist das LG zu Recht von der hinreichenden Bestimmtheit des Unterlassungsantrages ausgegangen. Insbesondere steht der Bestimmtheit des Klageantrags nicht entgegen, dass darin auf einen als Anlage vorgelegten USB-Stick Bezug genommen wird, der über 170.000 Einzelseiten der vorgenannten Internetseite umfasst.
Zwar müsse ein Urteilsausspruch äußerlich in einer Art und Weise festgelegt werden, dass er auch nach Verkündung bestimmbar bleibt und somit grundsätzlich in einer einheitlichen Urkunde festzulegen ist. In besonders gelagerten Fällen könne aber hiervon abgewichen werden, insbesondere, wenn, wie vorliegend, der Gegenstand, auf den sich der Unterlassungsanspruch bezieht, nach Art und Umfang nicht in das Urteil aufgenommen werden kann, weil er weder mit Worten beschrieben, noch durch die Aufnahme einer Abbildung des betreffenden Gegenstandes in das Urteil ausreichend dargestellt werden kann. Das OLG stellt weiter klar, dass in derartigen Sonderfällen im Urteilstenor auch auf Anlagen, die zu den Akten gegeben worden sind, verwiesen werden könne. Ein solcher Sonderfall wurde vorliegend sowohl vom LG als auch vom OLG angenommen. Weder der Einwand der Beklagten hinsichtlich der grundsätzlichen Veränderbarkeit des Inhalts des USB-Sticks noch hinsichtlich der fehlenden Verbundenheit mit dem Urteil führte zum Erfolg. Und auch bei der späteren Vollstreckung von Unterlassungstiteln könne, so das OLG, auf in Bezug genommene, zu den Akten gereichte Anlagen in aller Regel ohne weiteres zurückgegriffen werden.
Für die Praxis relevant dürfte, trotz der vom OLG bejahten grundsätzlichen Möglichkeit der Vollstreckung, vor allem die Vorbereitung und Durchführung der Vollstreckung einer solchen Entscheidung sein. Diese birgt nach Ansicht des Autors einige praktische Probleme, z.B. hinsichtlich der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung (d.h. der Zustellung innerhalb der Monatsfrist im Parteibetrieb oder durch den Gerichtsvollzieher). So stellt sich in diesem Zusammenhang beispielsweise die Frage, ob der Antragsteller selbständig Kopien eine solchen Datenträgers in Vorbereitung der Vollziehung anfertigen darf, oder ob er diesen zuvor an das Gericht schicken muss, so dass das Gericht dessen Inhalt prüft und dann den Datenträger der vollstreckbaren Ausfertigung beifügt.
Auch nicht auszuschließen sind technische Schwierigkeiten der Lesbarkeit eines entsprechenden Mediums (USB-Stick oder anderer Datenträger wie CD oder DVD) und der dort hinterlegten Dokumente durch beispielsweise den Beklagten bzw. Antragsgegner oder den die Entscheidung vollstreckenden Gerichtsvollzieher (sollten neben der Unterlassung noch weitere Ansprüche geltend gemachten worden sein, für deren Vollstreckung sich die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers ergibt), bis hin zu möglichen Darstellungsproblemen (Details, Farben, usw.) elektronischer Abbildungen von Verletzungsgegenständen, die auf einem entsprechenden Speichermedium zwar gespeichert sein können, auf einem Endgerät (z.B. einem Laptop oder Pad) mit ggf. geringer Auflösung oder ähnlichem jedoch nicht eindeutig erkennbar sein können.
Die Entscheidung enthält über die Frage der Bestimmtheit des Unterlassungsantrags hinaus weitere interessante rechtliche Ausführungen, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit der pressemäßigen Betätigung von Hoheitsträgern unter Berücksichtigung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2. GG gewährten Pressefreiheit und ist in jedem Fall lesenswert.
Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof sich mit den vorgenannten Fragen auseinandersetzen wird.